SICHERHEIT – GEOLOGIE
Von Norden her durch das Vorarlberger Rheintal die Alpen betretend, begegnet man zwischen Dornbirn und Hohenems zum ersten Mal steilen Felsen. Kein Wunder, daß schon zur Entdeckerzeit der Geologie diese Felsen in der geologischen Literatur beschrieben wurden. Bald schon kam man darauf, daß es sich nicht um ursprüngliche Lagerungsverhältnisse handelt. Vielmehr liegt bei Klien der ganze Schichtstoß umgekehrt, die zuletzt abgelagerten jungen Schichten liegen unter den vorher abgelagerten älteren. Unvermittelt steht man also mitten in den Schwierigkeiten alpiner Geologie. Hier in den Alpen haben Faltungen und Ueberschiebungen die Gesteinsschichten vielfach verbogen, zerrissen und sogar auf den Kopf gestellt.
Man findet im Gebirge bei Hohenems nur selten eine völlig ebene Lagerung, sondern fast alle Schichtflächen stehen senkrecht oder sind gar überkippt.
Ursache für die Lagerungsverhältnisse sind alpenauswärts gerichtete Ueberschiebungen und nachfolgende Faltung.
DER STÜTZENDE BERGRÜCKEN
Die größten Befürchtungen der Bewohner im Unter- und Oberklien, aber auch der Bewohner auf dem Reutefelsen, der oberen Rückwand, beziehen sich auf den bereits bis zur Hälfte abgetragenen stützenden Fuß des Reutefelsens, die „Neue Welt“, wie ihn die Anrainer bezeichnen. Diese Abtragung wird noch Konsequenzen haben. Die Stadt Hohenems kann sich über dieses Erbe jetzt schon Gedanken machen. Hier ein Auszug aus dem geologischen Gutachten:
DIE GEOLOGISCHE SITUATION DER OBEREN RÜCKWAND
Wesentlich für die geologisch–geotechnische Problematik im Bereich Steckenwegen angrenzend an das Steinbruchareal ist jene Störung parallel zur Oberen Rückwand, welche ca. 15-20 m bergseits der Böschungskante durch die Senke von Steckenwegen verläuft. Diese Störung stellt eine wirksame natürliche Trennfläche dar, welche die sogenannte Obere Rückwand vom Massiv des Breiten Berges abtrennt. Hier ist geologisch gesehen längerfristig das größte Gefährdungspotential gegeben. Vor allem oberflächennahe wirksam sind gebogene Kluftflächen, welche flacher als die Felswand einfallen und somit die geologische Ursache für die durch den Abbau ausgelösten Felsstürze im Bereich der ehemaligen Überlagerung darstellen. (Wilhelmy, 1998)
FELSSTÜRZE IN UNMITTELBARER UMGEBUNG UND IM RHOMBERG-STEINBRUCH SELBST
FELSSTURZ OBERKLIEN IM JAHR 1971
Am 7. Mai 1971 kam es nach mehrjährigem Hangschuttabbau unter den Klien-Felswänden zu einem folgenschweren geologischen Ereignis. Ein durch Störungen abgetrennter Felskeil kam auf talabfallenden Drusberg-Schichten ins Rutschen und donnerte in sich zusammenstürzend bis unmittelbar vor die Häuser.
Die Vorarlberger Nachrichten vom 8. Mai 1971 berichten:
Schon einige Tage waren die Bewohner der Hohenemser Parzelle Oberklien besorgt: Der Berg über ihnen, der schon Unmengen von Felsen für den Autobahnbau lieferte, war unruhig. Obwohl schon längere Zeit keine Materialentnahme mehr vorgenommen wurde, kollerten immer wieder Steine in Richtung Haselwurzbach, auch kleine Bäume wurden mitgerissen. Am Donnerstag abend verstärkte sich alles und die Familien, die dort beheimatet sind, hatten eine unruhige Nacht. Ein Arbeiter, der 30 Jahre im Steinbruch tätig war, kontrollierte die Gegend und benachrichtigte am Freitag vor 8 Uhr den Bürgermeister, daß höchste Gefahr bestehe. Dieser veranlaßte sofort an Ort und Stelle die Evakuierung. Kaum hatten sich die Anwohner in Richtung Frühlingsstraße in Sicherheit gebracht, ging es los: Unter Donner und Getöse stürzte der Berg in die Tiefe, riesige Felsbrocken lösten sich und waren in Richtung der Wohnhäuser in Bewegung.
Wen trifft die Schuld?
Besonders zur Diskussion stand das geologische Gutachten von Dr. Leo Krasser:
Warum es zum Felssturz gekommen ist, konnte er nicht begründen. „Ich habe keine Röntgenaugen und sehe nicht, was sich innerhalb des Berges abspielt.”
Die Bevölkerung hat ein Recht, daß ihr Gut und Leben den entsprechenden behördlichen Schutz genießt. Niemand kann sich hinter Gutachten verstecken, die so drastisch sich als unbrauchbar herausstellen.
Die folgenden Untersuchungen haben dann das bestätigt, was von den Anwohnern bereits seit mehreren Jahren kritisiert wurde:
Durch den Abtrag der Schutthalden verlor der Berg seinen stützenden Fuß.
FELSSTURZ IM EIGENEN RHOMBERG-STEINBRUCH
40.000 Kubikmeter Fels und Geröll stürzen im Rhomberg-Steinbruch in der Parzelle Unterklien in die Tiefe.
Die Vorarlberger Nachrichten vom 16.10.1995 berichten:
Auf wundersame Weise gleich, kam bei dem gewaltigen Felssturz kein Mensch zu Schaden. Zwei Arbeiter*, die wenige Minuten zuvor noch nahe des Niedergangs der Gesteinsmassen gewerkt hatten, begaben sich gegen 13 Uhr zwecks Mittagspause zur weiter entfernten Unterkunft. Kaum hatten sie Platz genommen, hörten sie, wie der Fels unter heftigem Getöse losbrach und zu Tal donnerte. Die Gründe, die zum Felssturz geführt haben, sind noch nicht bekannt. Die im Felsmassiv gesetzten geotechnischen Spione, die über Veränderungen im Gestein informieren, hätten zuvor keine Felsbewegungen angezeigt, hieß es.
*In Wirklichkeit waren es 8 Arbeiter, die dem Tod nur knapp entronnen sind.
THEORIE UND PRAXIS DER GEOLOGIE
Die Geologie ist eine Naturwissenschaft. Ihre Arbeitsgrundlagen sind Hypothesen, die aufgestellt werden, um ein bestimmtes Phänomen zu erklären ( z.B.: Der Breitenberg ist nicht felssturzgefährdet). Stimmen die Beobachtungen gut mit der Hypothese überein, gilt dies als Beleg zu ihren Gunsten. Die Hypothese sollte zudem nicht nur ein Phänomen beschreiben, sondern auch die Ergebnisse anderer Phänomene voraussagen können. Anhand von Experimenten (jahrelange Sprengungen z.B.) kann die Vorhersagekraft der Hypothese geprüft werden. Verlaufen sie erfolgreich, gilt dies als erneuter Beleg zugunsten der Hypothese ( es ist nichts passiert bis jetzt, daher ist der Berg auch weiterhin sicher). Schließlich kann die Menge der Belege so beeindruckend werden, daß die Hypothese als naturwissenschaftliche Theorie anerkannt wird. Aber es bleibt eine Theorie. Sie entbehrt einer absoluten Wahrheit, wie die Mathematik sie aufbringen könnte.
Alle Ergebnisse der Naturwissenschaft und somit der Geologie sind mit dem Makel der Ungewißheit behaftet.
Geologe DDr. Heiner Bertle: „Aus dem Wissen, daß alles einem Wandel unterliegt, daß nichts so bleibt wie es ist, von einem Tag nicht auf den anderen, kommt natürlich auch die Sicht des Geologen, daß es Sicherheit, wie wir sie alle gerne hätten, nicht gibt.“ Die naturwissenschaftliche Theorie ist nur h o c h- w a h r s c h e i n l i c h! Alle Beweise dieser Theorie beruhen auf Beobachtung und Wahrnehmung, die beide fehlbar sind und nur Annäherungen an die Wahrheit ermöglichen. Absolute Sicherheit würde nur ein mathematischer Beweis liefern, der im klassischen Sinne mit einer Reihe von Axiomen beginnt, mit Aussagen also, deren Wahrheit als sicher gelten kann oder die offensichtlich wahr sind. „Der Breitenberg ist nicht felssturzgefährdet“ wäre demnach eine falsche Aussage.
„Am Breitenberg kommen immer wieder Felsstürze vor.“ Das ist eine wahre Aussage.
„In Oberklien ist der Berg erneut felsstürzend.“ Das ist eine wahre Aussage.
„Erst wenn die Gebirge in der Ebene sind, ist völlige Sicherheit gegeben.“ Das ist eine wahre Aussage.
„Kein Mensch kann Erdbeben (die nicht auf Sprengungen beruhen) voraussagen.“ Das ist eine wahre Aussage.
„Kein Mensch kann die Einwirkung von Sprengungen auf die starre Masse des Berges mit Sicherheit beurteilen.“ Das ist eine wahre Aussage.
„Kein Mensch kann die geomorphologischen Verwitterungsausmaße berechnen.“ Das ist eine wahre Aussage.
„Der Bergfuß Neue Welt stützt die Breitenbergwand.“ Das ist eine wahre Aussage.
Daraus folgt:
Durch sprengenden Abbau eines Bergfußes in einem Massiv, das gekennzeichnet ist von ständigen Felsstürzen, deren Ausmaße nicht berechnet werden können, wird die dort wohnende Bevölkerung einer Gefahr ausgesetzt, die ein Vielfaches jener Gefahr beträgt, die durch die natürlichen Verhältnisse gegeben ist. Es ist pure Vermessenheit, das Gegenteil zu behaupten.
Geologe DDr. Bertle: „Wir sind alle Blinde. Ich habe das Glück, daß ich vielleicht ein Viertel Auge sehend habe aufgrund der jahrzehntelangen Kenntnis und dem, was ich schon in diesen Jahrzehnten gesehen habe und auch von Unterlagen weiß.
Aber wirklich wissen tun wir alle miteinander nichts. Es ist ein Raten, und wie gesagt, Verschiedenes Erahnen und aufgrund von Unterlagen und Vorkenntnissen Verschiedenes ein bißchen Wissen, aber nicht wirklich Wissen, was man eigentlich erwarten würde für so gravierende Entscheidungen. Dort tappen wir immer umher. Wir haben grundsätzlich verlernt, im Buch der Natur zu lesen. Geologen können es zum Teil noch ein bißchen besser, aber wirklich klar ist diese Schrift nicht.
Man kommt erst aus den Fehlern darauf, was man eigentlich anders denken oder anders hätte sehen müssen…“
Die Menschen, die hier am und auf dem Berg leben, sind an seine natürlichen Aktivitäten gewöhnt. Sie nehmen Veränderungen zur Kenntnis, über die Jahrzehnte hinweg. Sie passen ihr Leben den Veränderungen des Berges an, sie orientieren sich phänomenologisch. Auf solche Art werden sie durch Teilnahme zu Experten. Eine Statistik der Anzahl der Gesteinsabbrüche wird ihnen direkt zu eigen, geht ihnen ins Blut. Dieses Wissen, das auf Teilnahme beruht, ist sorgsamer zu behandeln als jenes, das auf „wissenschaftlichen“ Informationen basiert, da die Wissenschaft sich in den Dienst der freien Marktwirtschaft gestellt hat, in der der Wettbewerb regiert. Das teilnehmende Wissen orientiert sich nämlich an der Sicherheit des Überlebens. Dieser Überlebenssinn hat feinere Sensoren, als die Wissenschaft je erfinden kann.
Geologe DDr. Bertle: „Je mehr man weiß und je mehr man auf Naturgesetzlichkeiten zurückführen kann und je mehr man erklären kann, desto größer wird auch der Teil, der unerklärlich bleibt und vor dem man als vernünftiger Mensch nicht darum herumkommt, auf einen Herrgott angewiesen zu sein….“
Zitate: „Drehorgel“
(altgouachierte Aquatinta n. J.B Isenring b. Teutsch – altes Panorama – Vorarlberger Rheintal um 1830)